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Es werden Posts vom März, 2018 angezeigt.

Auch für Agnostiker geeignet! - Verdis „Messa da Requiem“ in der Hamburger Staatsoper

Ein feinfühliges Orchester, Chor mit schauspielerischen Talenten und hochklassige Solisten machen den Abend in der Hamburgischen Staatsoper zum musikalischen Genuss von Katrin Dürwald Als sich der Vorhang öffnet, steht im Vordergrund der Bühne ein übergroßes Holzregal, dessen Fächer quadratisch, etwa einen Meter tief und nach hinten offen sind. In einem der Fächer dieses riesigen Gitters sitzt eine Frau, die ihre Hände verzweifelt vors Gesicht hält. Langsam kriechen nacheinander durch andere Fächer ihr Mann, ein Kind und eine Freundin – die Verzweiflung der jungen Frau ist wie weggeblasen; alle spielen ausgelassen Ball miteinander. Hinter dem dickwandigen Holzraster erahnt man den Chor, der kurze Zeit später gedämpft ins Publikum dringt. Hinter dem Chor steht ein zweites Holzregal, durch das es mosaikhaft schimmert, als schaue man zu Kirchenfenstern hoch. Die Spielenden befinden sich mitten im Leben, der Chor hingegen steht für die Verstorbenen im Totenreich. So behutsam der Dirig

Weibliche Karrieremuster - wenn das der Preis ist, dann doch lieber nicht!

"Herrinnen" im Theater Kontraste im Winterhuder Fährhaus von Katrin Dürwald Was liegt näher, als mit den Kolleginnen aus dem firmeneigenen Frauennetzwerk in das Stück „Herrinnen“ von Theresia Walser zu gehen? – Hier begegnen sich fünf Frauen unmittelbar vor einer Gala zum allerersten Mal. Alle sind für den „Staatspreis für weibliche Lebensleistung“ nominiert. Im Wartebereich hinter der Bühne gehen die Frauen aufeinander los. Mit Stutenbissigkeit und Potenzgehabe knallen unterschiedliche Lebenskonzepte aufeinander, und jede der Frauen kämpft rücksichtlos um den Endsieg. Kenne ich tatsächlich diese Frauentypen? – Bin ich ihnen mal begegnet? – Ja. Typus 1: ohne Kinder, entweder alleinstehend oder verheiratet, Karriere der 70/80er Jahre Typus2:  Self-made Woman, Proll im Porsche, scheißt auf ihre Weiblichkeit Typus 3: Generation Y, Karriere und Kinder – hat kein Problem damit, das beides als realisierbar zu sehen und meint alles im Griff zu haben. Typus 4: etablie

Einander verlieren ohne sich jemals richtig gefunden zu haben – „Rain“

Tanz-Performance von Anna Teresa de Keersmaeker von Katrin Dürwald Auf dem Boden der Kampnagel-Bühne überkreuzen sich mehrfarbige und unterbrochene Linien. Mein Nachbar sagt, das erinnert ihn an gefallene Mikado-Stäbe. Mich erinnert es an eine Turnhalle. Die Bühne wird durch einen kreisförmigen Vorhang begrenzt. Aus etwa drei Meter Höhe hängen Schnüre bis zum Boden hinab, so dass alles, was hinter den Schnüren passiert, nur schemenhaft sichtbar wird. Während die Tänzer hintereinander auf die Bühne laufen und sich dort in einem scheinbaren Chaos verlieren, rollt ein Lichtwagen gegen die Laufrichtung der Tänzer hinter dem Vorhang und erzeugt Blendungen und Spotlights auf einzelne Aktionen. Dann konzentriert sich der Blick auf die zehn Tänzer, sieben Frauen und drei Männer. Viele von ihnen vollführen kreisförmige Spurts, bremsen dann wieder ab, verharren in Ballungen und werden dann – scheinbar fremdgesteuert – wieder auseinandergetrieben. Ihre Oberkörper schwingen dabei weit zur S

Dem Imperial-Theater in die Karten schauen, beim „Fluch des Pharao“

Darf man heutzutage eigentlich noch zugeben, dass man gern ins Boulevard-Theater geht? – Dort, wo man sicher sein kann, das Stück auch ohne Erläuterungen oder Begleitheft verstehen zu können? – Wo der Anspruch in guter Unterhaltung liegt, und nicht in vielschichtiger Symbolik? Wo eine Geschichte noch handlungstreu erzählt wird, anstatt sie zu etwas Neuem zu verfremden? – Boulevard-Theater ist ein wenig wie die wiederholte Pauschalreise nach Mallorca; nichts zum Angeben, aber trotzdem schön. So erlebt gestern im Imperial-Theater in Hamburg. Seit September letzten Jahres wird dort der Sherlock-Holmes-Krimi „Der Fluch des Pharao“ von Arthur Conan Doyle gespielt. Es gab viele gute Kritiken dazu, zum Beispiel Sven Ingolds fast euphorischer Bericht aus der Welt:  https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article168476226/Der-Fluch-des-Pharao-ein-Segen.html Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen. Ich schätze darüber hinaus am Imperial, dass ich hier als Zuschauer Theate

Dumm und lustgeil durch die Welt - Comedian Dietmar Wischmeyer in der Markthalle

Wer sich darüber schlapplachen kann, dass menschliche Exkremente stinken und derbste sexistische Äußerungen als lustigen Tabubruch begreift, der kommt bei dem Comedian Dietmar Wischmeyer voll auf seine Kosten. Das Publikum kennt und liebt ihn für diese verbalen Entgleisungen. Es raunt, wenn Wischmeyer die „unterste Schublade“ an diesem Abend in der Hamburger Markthalle wieder einmal weit öffnet. Misanthropisch beschreibt er die Dauergeilheit seiner Mitbürger, verkürzt Sex zu GV; da wird jemand eingeritten oder Luststengel spannen sich unter dem Holster, und das Publikum johlt. Alle bekommen dabei ihr Fett weg, Männlein wie Weiblein altern in seinen Worten gnadenlos, es schwabbelt oder es steht nicht mehr, aber GV, das muss sein und kommt entsprechend in jedem zweiten Satz vor. Und wenn nicht das, dann eben Pisse oder Kacke. – Wischmeyer kann auch politisches Kabarett: Nahles sei eine Kreuzung aus Pitbull und Merkel. OK. Minister der scheidenden und zukünftigen Regierung bekommen jeweil

Rigoletto hervorragend besetzt in der Staatsoper Hamburg (06.03.2018)

Dass einem das Bühnenbild bekannt vorkommt, liegt wohl daran, dass die Inszenierung bereits aus dem Jahr 1994 stammt. Die lüsternen Hofschranzen sind watschelnde Pinguine in Gelb-Schwarz, die um ihre Ehre gebrachten Cepranos tragen Rot, Rigoletto und Tochter treten in Blau und die Familie der Auftragsmörder in Schwarz auf. Immerhin kann man schnell alle Parteien korrekt einordnen. In die ansonsten recht mager ausgestattete Bühne ragt an einem Seil ein weinroter Ball, der im Laufe des Abends für Dynamik sorgt. Während alle Darsteller wie in Plakafarbe getaucht wirken, sind die Seitenwände hell- und dunkelgrau schraffiert. Sie verstärken im Betrachter das Gefühl der Dreidimensionalität. Der Raum ist nach weit nach hinten geöffnet, die Stimmen werden dadurch leider stark gedämpft. Das fällt vor allem dann auf, wenn Rigoletto am Seil mit dem Band einen Vorhang nach unten zieht. In diesen wenigen Momenten wirken die Stimmen präsenter. Das spannendste Bild des Abends wird erzeugt mit e

Fasziniert von der geballten Melancholie vierer Männer: Schubert – Goerne – Kentridge - Hinterhäuser

Erster März, meteorologischer Frühlingsanfang: Draußen herrscht ein eisiger Wind. Bei minus 8°C driften Eisschollen auf der Elbe. Drinnen steht „Die Winterreise“ von Schubert auf dem Programm, im Großen Saal der Elbphilharmonie. Welch eine prophetische Glanzleistung der Programmorganisation. Was mir gleich auffällt: sie haben die hinter dem Bühnenhalbkreis liegenden Plätze nicht verkauft. Das ginge auch nicht, weil hinter dem Flügel eine hohe Wand mit blassen Zeichnungen aufgebaut ist. Sie erinnert ein wenig an das Zettel-Chaos des schizophrenen John Forbes Nash aus dem Film „A Beautiful Mind“. Pianist Markus Hinterhäuser und Bariton Matthias Goerne betreten die Bühne. Kaum hat Goerne zu singen begonnen, wird ein aus Einzelbildern zusammengeschnittener Trickfilm des Künstlers William Kentridge auf die Wand projiziert. https://www.youtube.com/watch?v=Do3_OvxSITo Akustisch schwanke ich zwischen Begeisterung und Enttäuschung. Ich bin begeistert über die schöne Stimme und die fe