Einander verlieren ohne sich jemals richtig gefunden zu haben – „Rain“
Tanz-Performance von Anna Teresa de Keersmaeker
von Katrin Dürwald
Auf dem Boden der Kampnagel-Bühne überkreuzen sich mehrfarbige und unterbrochene Linien. Mein Nachbar sagt, das erinnert ihn an gefallene Mikado-Stäbe. Mich erinnert es an eine Turnhalle. Die Bühne wird durch einen kreisförmigen Vorhang begrenzt. Aus etwa drei Meter Höhe hängen Schnüre bis zum Boden hinab, so dass alles, was hinter den Schnüren passiert, nur schemenhaft sichtbar wird. Während die Tänzer hintereinander auf die Bühne laufen und sich dort in einem scheinbaren Chaos verlieren, rollt ein Lichtwagen gegen die Laufrichtung der Tänzer hinter dem Vorhang und erzeugt Blendungen und Spotlights auf einzelne Aktionen. Dann konzentriert sich der Blick auf die zehn Tänzer, sieben Frauen und drei Männer. Viele von ihnen vollführen kreisförmige Spurts, bremsen dann wieder ab, verharren in Ballungen und werden dann – scheinbar fremdgesteuert – wieder auseinandergetrieben. Ihre Oberkörper schwingen dabei weit zur Seite, und man denkt, sie würden gleich stürzen, aber es liefert ihnen nur den nötigen Impuls, wieder in einen schnellen Lauf zu verfallen. Parallel zu diesen wie von einem Magneten unter der Bühne geregeltem Chaos gibt es immer wieder Soloeinlagen aus dem klassischen Ballett-Vokabular. Die Frauen tragen Röcke, Hosen und Kleider, die Männer schlackrige T-Shirts und Oberhemden, und alles ist in Beige, Weiß und Altrosa gehalten.
Auf dem Boden der Kampnagel-Bühne überkreuzen sich mehrfarbige und unterbrochene Linien. Mein Nachbar sagt, das erinnert ihn an gefallene Mikado-Stäbe. Mich erinnert es an eine Turnhalle. Die Bühne wird durch einen kreisförmigen Vorhang begrenzt. Aus etwa drei Meter Höhe hängen Schnüre bis zum Boden hinab, so dass alles, was hinter den Schnüren passiert, nur schemenhaft sichtbar wird. Während die Tänzer hintereinander auf die Bühne laufen und sich dort in einem scheinbaren Chaos verlieren, rollt ein Lichtwagen gegen die Laufrichtung der Tänzer hinter dem Vorhang und erzeugt Blendungen und Spotlights auf einzelne Aktionen. Dann konzentriert sich der Blick auf die zehn Tänzer, sieben Frauen und drei Männer. Viele von ihnen vollführen kreisförmige Spurts, bremsen dann wieder ab, verharren in Ballungen und werden dann – scheinbar fremdgesteuert – wieder auseinandergetrieben. Ihre Oberkörper schwingen dabei weit zur Seite, und man denkt, sie würden gleich stürzen, aber es liefert ihnen nur den nötigen Impuls, wieder in einen schnellen Lauf zu verfallen. Parallel zu diesen wie von einem Magneten unter der Bühne geregeltem Chaos gibt es immer wieder Soloeinlagen aus dem klassischen Ballett-Vokabular. Die Frauen tragen Röcke, Hosen und Kleider, die Männer schlackrige T-Shirts und Oberhemden, und alles ist in Beige, Weiß und Altrosa gehalten.
Die Musik stammt von dem Minimalisten Steve Reich. Es ist das
Stück „Music for 18 Musicians“ von 1978, mit pulsierenden Beats und
wiederkehrenden Klangmustern, dessen minimale Veränderungen im Rhythmus von den
Tänzern perfekt umgesetzt werden und Musik und Tanz wie einen Organismus
erscheinen lassen. Dennoch finde ich die Musik auf Dauer enervierend,
vielleicht auch, weil die hohen Töne blechern aus dem Lautsprecher quäken.
Unmerklich haben sich die Tänzer nach und nach in peppigere
Pink-Töne gekleidet, der Stil ist aber gleichgeblieben, so dass man es nicht
auf Anhieb merkt. Als die Beleuchtung durch Stroboskoplicht ins Rosé getaucht
wird, die Mikados plötzlich Türkis und Pink aufleuchten, wird auch dem
Zuschauer eine Zäsur deutlich. Die folgenden Bilder bleiben visuell am stärksten
haften. Es kommt zu Andeutungen von Paartänzen, die immer gleich unterbrochen
werden durch Ablenkung, Konkurrenz und gegenseitiges Ausschalten. Die
unterbrochenen Formationen zeigen für mich die Oberflächlichkeit menschlicher
Beziehungen. Es gibt keine intensiven Zweierbeziehungen mehr, sondern nur ein Zusammendriften
von Personen für eine kurze Zeit. Tänzer tanzen sowohl für sich, zeitgleich vollführen
zwei oder drei Tänzer Parallelbewegungen, um sich dann voneinander zu trennen
oder jemandem anderen zu folgen. Das Auge des Zuschauers ist mit dem Fokus überfordert,
hat die Befürchtung, etwas zu verpassen. Manchmal verharrt der Blick auf den eleganten
Bewegungsabläufen einer Frau, und schon hat man das nächste Bild verpasst.
Die Musik tritt angesichts der Intensität des Tanzes in den
Hintergrund. Ich merke, dass ich mir mehr Miteinander im Tanz gewünscht hätte.
70 Minuten Tanz-Performance, in der sich Menschen eher verlieren als sich
intensiv zu begegnen, macht mich etwas traurig. Nach einer Stunde kämpfen die
Tänzer gegen die eigene Erschöpfung an. Sie schauen ihren Mitstreitern am Rand
stehend zu, sitzen teilweise auf Acrylstühlen, und man sieht, wie sich ihr
Brustkorb intensiv hebt und senkt. Sie schwitzen, und es sieht doch so leicht
aus! Ich frage mich, wie sie die komplizierte Choreographie im Kopf behalten,
und wie viel Konzentration es fordert, so lange durchzutanzen. Der zurückrollende
Lichtwagen kündigt das Ende des Tanzes an, kurz danach rennen die Tänzer von
der Bühne, das Licht geht aus. Es brandet nachhaltender Beifall auf. Er gilt der
tänzerischen Glanzleistung jedes einzelnen Tänzers, denn das Ensemble ist hochklassig,
es gab keinerlei Schwächen.
De Keersmaekers Tanzprojekt „Rain“ basiert auf dem gleichnamigen
Buch der neuseeländischen Autorin Kirsty Gunn, in dem es um den
Wiederbelebungsversuch eines Ertrunkenen durch eine junge Frau geht. De Keersmaekers
wollte damit die emotionale Erkenntnis des verlorenen Lebens aufzeigen und den kraftvollen
Versuch der Wiederbelebung auffangen. Ob es ihr gelungen ist, diese Bilder im Zuschauer
zu erzeugen, daran hege ich Zweifel. Aber ich habe dafür andere Assoziationen
gespürt und wunderschöne Tanzbewegungen gesehen, die mich begeistert haben.
Dafür ertrage ich dann auch mal Steve Reich!
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