Dem Imperial-Theater in die Karten schauen, beim „Fluch des Pharao“
Darf man heutzutage eigentlich noch zugeben, dass man gern
ins Boulevard-Theater geht? – Dort, wo man sicher sein kann, das Stück auch
ohne Erläuterungen oder Begleitheft verstehen zu können? – Wo der Anspruch in
guter Unterhaltung liegt, und nicht in vielschichtiger Symbolik? Wo eine
Geschichte noch handlungstreu erzählt wird, anstatt sie zu etwas Neuem zu
verfremden? – Boulevard-Theater ist ein wenig wie die wiederholte Pauschalreise
nach Mallorca; nichts zum Angeben, aber trotzdem schön.
So erlebt gestern im Imperial-Theater in Hamburg. Seit
September letzten Jahres wird dort der Sherlock-Holmes-Krimi „Der Fluch des
Pharao“ von Arthur Conan Doyle gespielt. Es gab viele gute Kritiken dazu, zum
Beispiel Sven Ingolds fast euphorischer Bericht aus der Welt:
Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen. Ich schätze
darüber hinaus am Imperial, dass ich hier als Zuschauer Theater als Handwerk
begreife. Man sitzt ja eh schon fast auf der Bühne, sieht jeden überzogenen
Lidstrich und registriert amüsiert, wenn sich eine Schublade nicht wie geplant
öffnen lässt. Beim Wechsel der Szenerie kann man im Dunkel noch erkennen, wie
ein vermeintlich Toter die Bühne verlässt. Einfach herrlich!
Der Schauspieler Gosta Liptow gibt Sherlock Holmes. „Dem
fehlt die Mütze“, kommt es von einer Seite. Ja, denke ich, mit Mütze wäre der
Auftritt überzeugender ausgefallen. Als Sherlock zeigt Liptows Gesicht ein
Dauergrimmen, eine Mimik, die bei längerem Hinsehen Verwirrung auslöst. Auch
kostet er Sherlocks kluge Schlussfolgerungen und detailgenaue Beobachtungen
längst nicht so arrogant und spöttisch aus wie man es aus den Romanen kennt.
Der Schauspieler Janis Zaurins spielt den Dr. Watson als
sehr wohlerzogenen und leicht verklemmten Arzt. Er sieht Sean Connery ähnlich,
aber er hat nichts von dessen Womanizer-Charme. Für die Geschichte rund um seine
Angebetete Margaret Trelawny (Julia Neumann) ist das förderlich, aber ich
wünsche ihm mal eine Rolle, in der er Sex Appeal zeigen kann.
Ganz stark finde ich Verena Peters in der Rolle der
Schwester Kennedy. Wenn sie etwas missbilligt, rümpft sie die Nase, die
Augenbrauen wandern empört nach oben, der Mund wird zu einem dünnen Schlitz,
und ihre Augen blitzen gefährlich. Als Einzige hat sie ein Motiv für den Mord
an Dr. Winchester (Sönke Städtler), denn er hatte sie als Jugendliche sexuell
missbraucht. Das Publikum weiß aber sehr wohl, dass der zuerst Verdächtige niemals
auch der Mörder ist. Dennoch versteht sie es mit spröder Strenge, Zweifel an
ihrer Unschuld zu wecken.
Welche Schuld Dr. Winchester und Sir Abel Trelawny (Heiko Fischer)
bei ihrer Expedition nach Ägypten auf sich luden, wird offenbar, als sich das
ägyptisch gestaltete Wohnzimmer nach hinten öffnet und eine zweigeschossige Grabkammer
sichtbar wird. Für einen Schatz ermordete Winchester seinen französischen
Kollegen Durand (Christian Richard Bauer) und sperrte seinen Assistenten Christopher
Ross (Evangelos Sargantzo) in der Gruft ein, Trelawny machte ohne große Gegenwehr
mit. Diese Geschichte in der Geschichte hat mir sehr gut gefallen.
Die Opiumsucht von Sir Trelawny fand ich nicht besonders
überzeugend gespielt. Heiko Fischer schwankt in dieser Rolle zwischen Delirium,
absoluter Nüchternheit und Cold Turkey.
Die Zahl der Verdächtigen wird aufgrund weiterer Todesfälle im
Laufe des Abends geringer, ganz so wie bei den Geschichten von Sherlock Holmes
üblich ist.
Die Schauspieler lassen sich am Schluss des Stücks gern
feiern, sie freuen sich über die gelungene Vorstellung. Ein Junge neben mir
erkundigt sich bei seinen Eltern, was als nächstes Stück kommt - eine Frage,
die hoffentlich bald vom Imperial-Theater beantwortet wird!
Das Imperial – Hamburgs Volkstheaterbühne auf der Reeperbahn
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