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Es werden Posts vom April, 2018 angezeigt.

Das Tor zur Welt öffnet sich einen Spalt mit Sufi-Musik in der Elphi

von Katrin Dürwald Wenn ich den Begriff „Weltmusik“ höre, überschlagen sich in meinem Kopf sämtliche Vorurteile und vorgefasste Meinungen, die sich eher gegen das Publikum denn gegen die Musik richten. Ich denke an Frauen in gebatikten Pumphosen, an schlaksige Alt-68er mit ergrautem Zottelhaar und beider selige Blicke in Erwartung einsetzender Trance. Und jetzt hat mich der Zufall in den kleinen Saal der Elphi geführt, wo unter dem Label „Weltklassik“ der pakistanische Sänger Faiz Ali Faiz mit seinem Ensemble auftritt. Faiz steht in einer langen Tradition von Qawwali-Musikern, bereits mit 16 Jahren gab er sein erstes professionelles Konzert. Er beschreibt die Musik so: „Während des Gesangs verwenden wir ein konstantes rhythmisches Klatschen und die Trommel, wir kreieren somit eine zyklische Struktur. Dazu wiederholen wir unablässig, ständig sich im Ausdruck steigernd, heilige Worte und einige Verse aus der Sufipoesie, wir nennen das ‚Dhikrullah‘. Diese heiligen Worte richten sic

Ganz Hamburg schwärmt von Edgar Selge – zu Recht!

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von Katrin Dürwald „Im Grunde könnte das Schauspielhaus derzeit jeden Abend die Unterwerfung aufführen“ beschrieb die Zeit im Februar den Erfolg des Ein-Personen-Stücks „Unterwerfung“ in der Inszenierung von Karin Baier. Das Stück läuft seit eineinhalb Jahren außerordentlich erfolgreich; kaum gibt es neue Tickets, sind sie auch schon ausverkauft. Edgar Selge (wirklich 70 Jahre?) ist für seine schauspielerische Leistung in diesem Stück als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet worden, und es ist in der Tat eine herausragende Einzelleistung, die Selge bei jeder Aufführung aufs Neue abruft. Während Selge – noch als er selbst – im beigen Trenchcoat – die Bühne betritt, hört man den Autor Michel Houellebecq in einer Tonaufnahme sprechen. Selge weist das Publikum ein und erklärt ihm, dass er nun gleich den Literaturprofessor Francois spielen wird. Fast unmerklich verschwindet Selge und Francois erscheint in ihm. Dieser skizziert seinen bisherigen Werdegang, von seiner nach eigenem Daf

Schwer verdaulich, aber mit lichten Einfällen inszeniert – „Rose Bernd“ im Schauspielhaus

von Katrin Dürwald Heimatvertriebene werden das nicht gern lesen, aber ich halte Schlesisch für tot. Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg haben diese Sprache, die damals von sieben Millionen Menschen gesprochen wurde, zerstört. Mehr als 70 Jahre danach habe ich nicht einmal mehr eine Vorstellung davon, welche Eigentümlichkeiten diese Sprache aufweist. Nach meinem Besuch des Stückes „Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann im Hamburger Schauspielhaus habe ich nun eine rudimentäre Vorstellung davon: ein hochdeutsches „ei“ wird zu einem langgezogenen „ee“, es gibt doppelte Verneinungen wie „nie nuscht“ oder ein „ooch“ für „auch“. Es gibt rollende „R“s, und es ist für einen Norddeutschen schwer verständlich. Regisseurin Karin Henkel scheint sich das auch gedacht zu haben und hat den Text nur bei bestimmten Ausdrücken mit schlesischem Klang versetzt, um ihn verständlich zu halten. Allerdings bringt das mit sich, dass man den Schauspielern den Dialekt nicht abnimmt. Es entwicke

Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ im Thalia – notwendige Mahnung gegen das Vergessen

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von Katrin Dürwald Fliegeralarm und heulende Sirenen katapultieren den Besucher in die Kriegszeit der frühen 40er Jahre. Auf der Rückwand der Bühne sieht man aus der Vogelperspektive ein rudimentär nachgebildetes graues Stadtmodell. Es entstehen düstere Erinnerungen an die Ruinenstädte im Kopf. Am Boden dieser Wand liegen Haushaltsgegenstände aus der Zeit, die an Ausbombung und Flucht erinnern, gleichwohl aber auch erdrückende Ähnlichkeit mit den Kleiderhaufen aus den Konzentrationslagern haben. Auf der Bühne steht ein Tisch, sie ist ansonsten leer. Ich erinnere mich, dass bei einem früheren Besuch des Stücks ältere Menschen beim Sirenenlärm das Theater fluchtartig verließen und nach der Pause nicht mehr zurückkehrten. Aber auch manch einem jüngeren Besucher sträuben sich die Nackenhaare, und die Schulklasse vor mir ist nicht mehr so zu Scherzen aufgelegt wie zu Beginn des Stücks. Ich möchte jedem Schüler, der sich mit der Nazizeit beschäftigt, empfehlen, sich die großartige Ins

Der arme Kontrabass – Balkan-Pop und unpassende Synthesizer

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von Katrin Dürwald Das Konzert des Avishai Cohen Trios im Hamburger St. Pauli Theater aus dem Jahre 2012 ist mir noch unvergessen. Damals standen wir zu bereits fortgeschrittener Stunde eng gedrängt in einer gefühlten Sauna und schrien Avishai Cohen wahllos Songs zu, die wir unbedingt noch hören wollten. Der grandiose Pianist Omri Mor griff unsere Zurufe auf und improvisierte auf den Liedanfängen, bis das Schlagzeug und der Kontrabass einsetzten. Obwohl wir alle kaum Luft kriegten und schwitzten, wünschten wir uns, dass der Abend kein Ende nehmen würde. 2015 in der Laeiszhalle ging es bereits gesitteter zu. Auch da stand Avishai Cohen zusammen mit einem Pianisten und einem Schlagzeuger auf der Bühne: zu der Zeit waren es Nitai Hershkovits und Daniel Dor. Doch der Zauber war ungebrochen. Dieses Jahr also nun der große Saal der Elbphilharmonie – wie immer - ausverkauft. Avishai Cohen stellt seine neue Platte „1970“ vor. Es ist ein Quintett, dass da auf die Bühne zu seinen Inst