Ganz Hamburg schwärmt von Edgar Selge – zu Recht!
von Katrin Dürwald
„Im Grunde könnte das Schauspielhaus derzeit jeden Abend die Unterwerfung aufführen“ beschrieb die Zeit im Februar den Erfolg des Ein-Personen-Stücks „Unterwerfung“ in der Inszenierung von Karin Baier. Das Stück läuft seit eineinhalb Jahren außerordentlich erfolgreich; kaum gibt es neue Tickets, sind sie auch schon ausverkauft. Edgar Selge (wirklich 70 Jahre?) ist für seine schauspielerische Leistung in diesem Stück als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet worden, und es ist in der Tat eine herausragende Einzelleistung, die Selge bei jeder Aufführung aufs Neue abruft.
„Im Grunde könnte das Schauspielhaus derzeit jeden Abend die Unterwerfung aufführen“ beschrieb die Zeit im Februar den Erfolg des Ein-Personen-Stücks „Unterwerfung“ in der Inszenierung von Karin Baier. Das Stück läuft seit eineinhalb Jahren außerordentlich erfolgreich; kaum gibt es neue Tickets, sind sie auch schon ausverkauft. Edgar Selge (wirklich 70 Jahre?) ist für seine schauspielerische Leistung in diesem Stück als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet worden, und es ist in der Tat eine herausragende Einzelleistung, die Selge bei jeder Aufführung aufs Neue abruft.
Während Selge – noch als er selbst – im beigen Trenchcoat –
die Bühne betritt, hört man den Autor Michel Houellebecq in einer Tonaufnahme
sprechen. Selge weist das Publikum ein und erklärt ihm, dass er nun gleich den Literaturprofessor
Francois spielen wird. Fast unmerklich verschwindet Selge und Francois
erscheint in ihm. Dieser skizziert seinen bisherigen Werdegang, von seiner nach
eigenem Dafürhalten einzigen intellektuellen Glanzleistung, der Promotion über den
französischen Romancier Huysmans, seiner fast zwangsläufigen Berufung zum Literaturprofessor
an der Sorbonne. Er offenbart, dass er seine Studenten nicht mag, außer sie sind
weiblich, jung, und gutaussehend. Einmal im Jahr nimmt er sich eine zur
Partnerin, und jeweils wird er am Ende des Semesters „gedumpt“, von den Frauen
fallengelassen. Angesichts seiner offenherzigen und doch wenig empathischen
Bekenntnisse gibt es erste Juchzer im Publikum, denn jede Frau gibt diesem
selbstgefälligen Heini in Gedanken persönlich den Laufpass. Er lässt sich dadurch
nicht beirren und beharrt in bester Manier eines Philip Roth, dass angesichts
seiner abnehmenden Libido die Frauen schon begehrenswert aussehen müssten, um
bei ihm noch etwas zu bewirken.
© Deutsches Schauspielhaus |
Francois beschreibt sich als unpolitischen Menschen zwischen
„Mitte-Links“ und „Mitte-Rechts“. Doch bei den Präsidentschaftswahlen wird
erstmalig niemand aus diesen Lagern unter die ersten Zwei gewählt. Stattdessen wird
das Wahlvolk vor die Entscheidung gestellt, die Rechtsradiale Marine Le Pen oder
den charismatischen muslimischen Politiker, Mohamed Ben Abbes, zu wählen. Es
kommt zu bürgerkriegsähnlichen Tumulten und zur Schließung der Universität.
Francois verkriecht sich ein paar Tage in der Provinz und kommt erst zurück, als
sich das bürgerliche Lager hinter die Islamisten stellt, um die Rechtsextremisten
von der Regierung fernzuhalten. Die Sorbonne wird zur muslimischen Universität
ausgerufen und von Saudi-Arabien finanziert. Man bietet Francois an, mit einem „goldenen
Handschlag“ in Pension zu gehen. Er ergreift diese Chance. Doch dann trifft er
auf vormalige Außenseiter und „Loser“ im intellektuellen Betrieb, die sich zum
muslimischen Glauben bekannt haben. Diese dürfen nun nicht nur weiter unterrichten,
sondern sie streichen auch ein dreifaches Gehalt ein, sie leben in schönen Wohnungen
in besten Pariser Vierteln und haben junge Musliminnen als Ehefrau an ihrer
Seite. Francois grübelt nicht lange über die Möglichkeit nach, diesen Weg
selbst einzuschlagen.
© Deutsches Schauspielhaus |
Die Bühne besteht aus einer schwarzen Wand, in die ein
überdimensioniertes Kreuz eingestanzt ist. Es ist angesichts der finalen Abkehr
Francois‘ vom Christentum von symbolischer Bedeutung, dass das Kreuz einen großen
Hohlraum bildet. Dieser dreht sich mal schnell, mal langsam, und Francois klettert
hinein und wird sofort in eine Ausbuchtung gedrückt, muss seinen Platz wechseln
und kommt nicht zur Ruhe. Das Kreuz ist für ihn keine Heimat, keine Zuflucht mehr.
Als er Einkaufstüten mit Hamsterkäufen ins Kreuz schmeißt, fliegen sie ihm
kurze Zeit später um die Ohren. Am Ende verschwindet das Kreuz und es erstrahlt
die Bühne, Francois trägt einen weißen Kaftan. Es deutet sich die vollständige Hingabe
an den Islam an.
Karin Baier hat den 300-Seiten-Roman von Houellebeqc auf seinen
Kern reduziert, ohne ihn auch nur ansatzweise zu verflachen. Es ist ein
Vergnügen, Selge klaren Worten, jeder Nuance im Ton zuzuhören, seine sparsam
eingesetzte Mimik und Gestik unterstützen das Gesagte effektvoll und bereiten uneingeschränktes
Vergnügen. Ein Parforceritt Selges und eins der besten Theaterstücke aus dem
Jahr 2017!
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