Der arme Kontrabass – Balkan-Pop und unpassende Synthesizer
von Katrin Dürwald
Das Konzert des Avishai Cohen Trios im Hamburger St. Pauli
Theater aus dem Jahre 2012 ist mir noch unvergessen. Damals standen wir zu bereits
fortgeschrittener Stunde eng gedrängt in einer gefühlten Sauna und schrien Avishai
Cohen wahllos Songs zu, die wir unbedingt noch hören wollten. Der grandiose Pianist
Omri Mor griff unsere Zurufe auf und improvisierte auf den Liedanfängen, bis das
Schlagzeug und der Kontrabass einsetzten. Obwohl wir alle kaum Luft kriegten
und schwitzten, wünschten wir uns, dass der Abend kein Ende nehmen würde. 2015
in der Laeiszhalle ging es bereits gesitteter zu. Auch da stand Avishai Cohen
zusammen mit einem Pianisten und einem Schlagzeuger auf der Bühne: zu der Zeit waren
es Nitai Hershkovits und Daniel Dor. Doch der Zauber war ungebrochen. Dieses
Jahr also nun der große Saal der Elbphilharmonie – wie immer - ausverkauft.
Avishai Cohen stellt seine neue Platte „1970“ vor. Es ist ein
Quintett, dass da auf die Bühne zu seinen Instrumenten strebt: Avishai Cohen Kontrabass,
elektrischer Bass und Sänger, Karen Malka Sängerin, Marc Kakon E-Gitarre, Shai
Bachar Keyboard und Noam David Schlagzeug. Sie beginnen mit „D’ror Yikra“, das
auf einem jüdischen Volkslied basiert. In der Tat ist das kein Jazz – es erinnert
eher an Weltmusik. Dabei unterdrückt der Synthesizer den Klang des Kontrabasses,
so dass es mir schwerfällt, das Solo von Avishai Cohen am Schluss des Liedes
durch Beifall zu würdigen. Es folgt das Stück „My Lady“, bei dem Shai Bachar über
die Tasten eines Fender Rhodes Pianos rast. Die Instrumentalisierung ist Jazz
oder Soul, aber der Rhythmus ist Elektropop, wobei der Rhythmus manchmal
enervierend lange gehalten wird, oder sich schnell verändert. Ich bin fast
dankbar, wenn Cohen den Kontrabass sinken lässt und zum E-Bass greift. Das
einzige unplugged-Instrument ist in dieser Instrumentalisierung hoffnungslos
verloren, es liegt meist wie tot hinter ihm. Bei manchen rhythmisch motivierten
Liedern vermisse ich die frühere Melodik, auch wenn ich mich für meine Kitschsucht
stumm schelte.
Auf der Platte hat er das Lied „It’s been so long“ von seiner
besten Platte, „Aurora“, neu arrangiert, aber die E-Variante finde ich nicht
gelungen. Anders ist das bei dem ebenfalls von der Platte „Aurora“ stammenden Lied
„Alon Basela“, das er live mit einem völlig anderen Rhythmus belegt. Da geht
das Publikum ob der Neuartigkeit des Liedes voll mit, und er erntet ehrlichen
Applaus. Bei mehreren Liedern sieht man, dass sowohl Cohen als auch seine
Sängerin Malka unzufrieden sind mit der Arbeit des Tontechnikers am Mischpult. Sie
weisen wahlweise mit dem Zeigefinger nach oben oder nach unten, doch der
schmale Glatzkopf am Pult regelt es nicht zu ihrer Zufriedenheit. Sie wirken fahrig
und unzufrieden, ich irgendwie auch, ohne dass ich die Ursache ihrer
Unzufriedenheit ganz nachvollziehen kann. Irgendwann sind sie wieder bei sich,
es ist 9 Uhr abends, und sie spielen „Song of Hope“, den stärksten neuen Song
auf dem „1970“ Album. Es ist auch ein Song, auf dem sich der Keyboarder endlich
mal zurückhält. Er ist ein hervorragender Klangerzeuger, aber auch sehr
verspielt, und er dominiert das Konzert (auf dem Album nicht hörbar) mit tremolierenden
Oberklängen.
Nach eineinviertel Stunden deutet sich das Ende des Konzerts an,
doch Cohen sagt, sie blieben gleich hier auf der Bühne. Dann kommen jetzt die
Zugaben, denke ich. Und jetzt ist er wieder da, der Cohen von 2012. „Feel free
to dance“, ruft er dem Publikum zu, und spielt ein beschwingtes spanisch-jüdisches
Sfarad-Lied, bei dem sich tatsächlich der Saal erhebt, im Stehen tanzt und klatscht.
Der E-Bass und die E-Gitarre liefern sich anschließend mit dem fast in Trance
spielenden Schlagzeuger Noam David ein Klanggefecht, welches das Publikum mit anhaltendem
Sonderapplaus gewürdigt. Allein singt Cohen dann noch „Alfonsina y el Mar“,
wobei er sich sparsam mit dem Kontrabass selbst begleitet. Das ist wunderschön
und verweist auf sein Können. Seiner nochmaligen Bitte zu tanzen, kommt der
Saal aber nicht nach. Cohen verlässt die Bühne nach diesem letzten Song als
Erster. Seine Band trottet leicht verwirrt hinter ihm her. Trotz anhaltenden Beifalls
kommen sie nicht wieder heraus. Ich glaube, er hatte Probleme mit dem
norddeutschen Gemüt.
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