Das Tor zur Welt öffnet sich einen Spalt mit Sufi-Musik in der Elphi


von Katrin Dürwald
Wenn ich den Begriff „Weltmusik“ höre, überschlagen sich in meinem Kopf sämtliche Vorurteile und vorgefasste Meinungen, die sich eher gegen das Publikum denn gegen die Musik richten. Ich denke an Frauen in gebatikten Pumphosen, an schlaksige Alt-68er mit ergrautem Zottelhaar und beider selige Blicke in Erwartung einsetzender Trance. Und jetzt hat mich der Zufall in den kleinen Saal der Elphi geführt, wo unter dem Label „Weltklassik“ der pakistanische Sänger Faiz Ali Faiz mit seinem Ensemble auftritt.

Faiz steht in einer langen Tradition von Qawwali-Musikern, bereits mit 16 Jahren gab er sein erstes professionelles Konzert. Er beschreibt die Musik so: „Während des Gesangs verwenden wir ein konstantes rhythmisches Klatschen und die Trommel, wir kreieren somit eine zyklische Struktur. Dazu wiederholen wir unablässig, ständig sich im Ausdruck steigernd, heilige Worte und einige Verse aus der Sufipoesie, wir nennen das ‚Dhikrullah‘. Diese heiligen Worte richten sich direkt an die Zuhörer, die aufgefordert werden, sich zusammen mit uns Musikern in Trance zu begeben.“ - Aha. 

Auf der Bühne liegt ein Teppich, und darauf liegen verteilt Sitzkissen. Als Instrumente mache ich zwei tragbare Harmoniums und Trommeln aus, im Begleitheft steht hinter jedem Bandmitglied „Gesang“. Ein Blick ins Publikum zeigt mir, dass Faiz in Nahen und Mittleren Osten eine große Bekanntheit haben muss. Zahlreiche Besucher verorte ich in diesen mir weitgehend unbekannten Kulturkreis. Die Alt-68er sind auch da, aber sie sind zu klassisch ergrauten Ehepaaren geworden.

Die Bandmitglieder schreiten ehrerbietig auf die Bühne und berühren dabei jeweils den Boden, tippen sich dann an die Stirn oder an die Ohren, das soll wohl Glück bringen. Faiz Ali Faiz hat Schwierigkeiten, auf die Bühne zu kommen, ein junger Mann aus seinem Ensemble reicht ihm die Hand. Ein fieser Hüftschaden lässt den gerade mal 56Jährigen älter und gebrechlich wirken.
Die Harmonium-Spieler und der Percussionist beginnen mit einer wiederkehrenden Melodie, in die Faiz kurz danach einsetzt. Das Lied scheint nur in Grundzügen festgelegt zu sein, ähnlich wie beim Jazz entwickelt Faiz sein Solo, wobei er die ganze Zeit in Bauchstimme singt, dabei aber hohe Tonlagen erreicht. Seine Stimme erzählt eine Geschichte. Mal plätschert sie dahin, mal wird sie energisch, ich verstehe kein Wort, vermute aber, dass es um ein religiöses Thema geht. Zunehmend steigern sich Rhythmik und Refrain zu einem Finale, in das erster begeisterter Applaus fällt, doch dann setzt der Gesang wieder ein. Die Background-Sänger klatschen mit zur Musik, sie scheinen aber das Publikum nicht dazu animieren zu wollen, es ihnen gleichzutun. Denn als das Publikum doch mal kollektiv mitklatscht, werden die Stimmen zu stark unterdrückt. Der Saal merkt es selbst und das Klatschen verebbt.

Anfänglich denke ich, naja, ganz nett. Als wäre man in einen Bollywood-Film geraten. Aber Faiz‘ virtuoser Gesang beginnt mich zu packen. Die Füße gehen mit, der Oberkörper auch. Das „Allah Hu“ erstreckt sich über fast dreißig Minuten und ist, wenn man seine You-Tube-Verbreitung betrachtet, sein bekanntestes Werk. Ein junger Mann reicht ihm einen Zettel. Vielleicht ein Musikwunsch? – Ich weiß nicht, ob er ihn erfüllt hat. Mir fällt aber auf, dass es eine große Anzahl von „Zu-Spät-Kommern“ gibt, die nach dem Ende des ersten Stücks hineinschleichen. Zum Ende ist es ähnlich. Da verlassen die älteren Paare den Saal. Ich vermute, meinem Vater hätten die gelegentlich gequälten Aufschreie des zweiten Sängers Unbehagen bereitet. Die Exotik bleibt ein befremdlicher Aspekt, aber Faiz Ali Faiz hat mir heute Abend mein Herz geöffnet.

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