Ein geschärfter Blick auf die komplexen Aspekte von „Freundschaft“
Von Katrin Dürwald
Gilla Cremer und Gerd Bellmann brillieren in den Hamburger Kammerspielen.
In den Hamburger Kammerspielen sitzen am heutigen Abend auffallend viele Freundinnen beisammen. Küsschen links und rechts, Getuschel und Gekicher in den Reihen vor mir. Es sieht so aus, als hätten sich vor allem Frauen vorgenommen, heute Abend ein wenig mehr zu erfahren über ihre Freundschaften. Denn so heißt das Ein-Personen-Stück von und mit Gilla Cremer.
Die Bühne wirkt aufgeräumt. Links sitzt der Musiker Gerd
Bellmann mit Schiebermütze am Keyboard. Gilla Cremer stellt sich vor als Ruth,
zeigt auf Bellmann und sagt, das sei ihr Schulfreund Knut. Sie nimmt eine
Muschel in die Hand und erzählt, die Muschel habe sie von ihrer Freundin „Niwea“
erhalten. Sie sei überhaupt der Anlass, warum sie dieses Stück aufführe. Ihre
Freundin habe ein Buch über die „Freundschaft“ geschrieben, und sie habe ihrer
Freundin versprochen, daraus ein Stück zu machen.
Den theoretischen Unterbau der Freundschaft liefert
Aristoteles mit seiner Unterteilung in Nutz- und Lustfreundschaften, und in die
„wahre“ Freundschaft. Es folgen abgeklärtere Erklärungen von Schopenhauer,
Einstein und Shaw, die das Publikum schmunzelnd aufnimmt. Gilla Cremer oder
Ruth entführt die Zuschauer auf faszinierende Art in die Kindergartenzeit und
erzählt von ihrer ersten Freundin. „Mama, ich habe eine Freundin, Du brauchst
Dich jetzt nicht mehr um mich zu kümmern.“ Es folgt die Schulzeit, sie trifft ihre
beste Freundin, „Niwea“, die so heißt, weil sie sich laufend eincremt. Und der
Freundeskreis erweitert sich, hinzu kommen komplizierte Drei- und Viereckskonstellationen
mit Eifersucht- und Konkurrenzgefühlen. Die Geschichten bringen eigene
Erinnerungen zurück an vergangene Freunde und an erlebte Situationen, die den
Weg ins Erwachsenenalter kurzweilig erscheinen lassen.
Dabei gelingt es Gilla Cremer, die imaginären Freunde
mithilfe dreier unterschiedlich langer Aluleitern lebendig werden zu lassen.
Fantasievoll dienen die Leitern mal als Personen, mal als Fahrrad oder Stockbett.
Das einzige weitere Utensil ist ein Seil, in das sie sich einwickelt, mit dem
sie angelt und mit dem sie Verbindungen zwischen den Personen schafft. Ehepartner
kommen hinzu und verlassen die Freunde wieder, die Freundschaft wird lockerer, Prioritäten
verschieben sich, und dazu singen Cremer/Bellmann wunderbar Lieder von Hannes
Wader, den Comedian Harmonists und Eigenkompositionen.
Hinter Ruth tritt Gilla Cremer zwar zurück, aber sie verschwindet
nie ganz. Denn es sind ihre ganz persönlichen Erinnerungen, die sie in diesem
Stück verarbeitet hat. Die Geschichte von ihrem Vater, der seinen Bruder
verliert und aus dem Nichts heraus sagt „Mir fehlt ein bester Freund“. Das sind
so Anekdoten, die man sich nicht ausdenkt. Das sind die wahren Begegnungen, die
nur das Leben schreibt.
Herausragend finde ich auch Gerd Bellmann alias Knut. In
seiner Nebenrolle als schweigender Schulfreund ist er herrlich nordisch spröde,
aber wenn er dann singt, dann klingt das so unbeschwert und schön, da hätte man
auch gern so einen Freund!
Es ist eine Ode an die Freundschaft, mit intelligenter
Dramaturgie und herzerwärmenden Flashes in die eigene Vergangenheit. Gilla
Cremer bedankt sich mit diesem Stück bei ihren Lebensfreunden, ich bedanke mich
bei ihr!
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