Posts

Es werden Posts vom September, 2018 angezeigt.

Warum wir Lust an der Angst empfinden - „Grimmige Märchen“ beim Hamburger Theaterfestival

Bild
von Katrin Dürwald Ein riesiges Sofakissen, in klassisch-geometrischem Stickmuster aus Rot-Gelb dominiert die Bühne. Es liegt mit Knautschkante, wie von Oma dorthin drapiert, schräg im Raum und stößt oben rechts fast an die Decke eines in Gold gefassten Bühnenrahmens. Acht verängstigt wirkende Märchenfiguren stehen oder quetschen sich in den Raum zwischen Kissen und Decke. Ihre Augen sind vor Angst unnatürlich geweitet, und dem Zuschauer beginnt Böses zu schwanen. Auf ein von Donnerhall begleitetes Türknarzen hin werfen sich die Gestalten auf den Boden des Kissens. Panisch kauern und verstecken sie sich. Die Figuren kommen einem trotz grotesker Verfremdung irgendwie bekannt vor: Frau Holle, Rotkäppchen, König Drosselbart, Schneewittchen und Rapunzel, aber auch der Hutmacher aus „Alice im Wunderland“ ist mit von der Partie. Was folgt, ist eine Menge Slapstick und Akrobatik. Die Schauspieler erobern das Kissen und kriechen oder hüpfen über ein verborgenes Trampolin zu den hö

Geschichten voller Melancholie erfüllen das St. Pauli-Theater – Seethaler liest aus „Das Feld“

Moderatorin Julia Westlake schwankt zwischen belanglosen Fragen und hilfloser Schmeichelei von Katrin Dürwald Spätestens seitdem ich im vergangenen Sommer „Ein ganzes Leben“ verschlungen hatte, war mir klar, dass ich den Menschen hinter dem Roman, Robert Seethaler, gern in einer Lesung erleben würde. Das Harbourfront Festival bot dazu Gelegenheit. Schnell eine Karte gekauft und ab ins St. Pauli-Theater am vergangenen Sonntag. Die Moderation hat Julia Westlake. Die Bühne ist hell ausgeleuchtet, das Publikum sitzt im Verborgenen. Robert Seethaler hält sich die Hand vor die Augen und sagt, er sehe ja gar nichts. Er macht deutlich, dass es ihm unangenehm sei, auf der Bühne zu sein. Westlake lacht, weil Seethaler ja auch Theater spielt. Er erklärt, dass er schon als Kind aufgrund seiner schlechten Augen eine dickglasige Brille trug und auf eine Grundschule für Sehbehinderte gegangen sei. Er habe dann die Flucht nach vorn angetreten und sich vom Klassenclown zum Theater entwick

Russell Harris versetzt Hamburger imaginär in die Royal Albert Hall – pompöse Last Night of the Proms

Bild
von Katrin Dürwald Zum zweiten Mal leitet Russell Harris die Last Night, und er und das KlassikPhilharmonie-Orchester Hamburg werden mit rhythmischem Klatschen begrüßt. Er genießt das sichtlich. Vorsichtshalber erwähnt er, dass die erste Hälfte des Konzerts ernst sei; Schabernack solle man erst später treiben. Das Orchester beginnt beschwingt mit Verdis „Un Giorno di regno“. Was dann folgt, ist eine Klangexplosion. In einem rauschenden dunkel-glänzenden Chiffonkleid betritt die Sopranistin Christina Rümann die Bühne und steigt direkt ein in die melodramatische Verdi-Arie „Sempre Libera“ aus dem ersten Akt von „La Traviata“. Ihre Stimme füllt den Saal der Laeiszhalle mühelos. Sauber akzentuiert sie die Sprache, und es macht Spaß, ihrem Mienenspiel zuzusehen, das den Inhalt der Arie verdeutlicht. Sie erhält anhaltenden Beifall für diese Leistung. Der erste Konzertmeister des Orchesters spielt eine sehr gelungene Version von Jules Massenet „Mediation“ aus „Thais“. Dann betritt Frede

Ein geschärfter Blick auf die komplexen Aspekte von „Freundschaft“

Von Katrin Dürwald Gilla Cremer und Gerd Bellmann brillieren in den Hamburger Kammerspielen. In den Hamburger Kammerspielen sitzen am heutigen Abend auffallend viele Freundinnen beisammen. Küsschen links und rechts, Getuschel und Gekicher in den Reihen vor mir. Es sieht so aus, als hätten sich vor allem Frauen vorgenommen, heute Abend ein wenig mehr zu erfahren über ihre Freundschaften. Denn so heißt das Ein-Personen-Stück von und mit Gilla Cremer . Die Bühne wirkt aufgeräumt. Links sitzt der Musiker Gerd Bellmann mit Schiebermütze am Keyboard. Gilla Cremer stellt sich vor als Ruth, zeigt auf Bellmann und sagt, das sei ihr Schulfreund Knut. Sie nimmt eine Muschel in die Hand und erzählt, die Muschel habe sie von ihrer Freundin „Niwea“ erhalten. Sie sei überhaupt der Anlass, warum sie dieses Stück aufführe. Ihre Freundin habe ein Buch über die „Freundschaft“ geschrieben, und sie habe ihrer Freundin versprochen, daraus ein Stück zu machen. Den theoretischen Unterbau der