Pianist Piemontesi spielt Schubert und Schumann mit Fingerfertigkeit und Gefühl
von Katrin Dürwald
Es gibt keine Abende mehr, in denen man ausschließlich zu Schubert und Chopin schwelgen kann. Zu einem ordentlichen Konzertabend gehört auch immer etwas das Ohr Herausforderndes. Manchmal ist das schon aus dem Programm herauszulesen. Manches Mal komme ich nach der Pause wieder in den Saal, und die Hälfte des Publikums ist verschwunden! – Das ist ein deutlicher Warnhinweis, dass es jetzt anstrengend wird.
Es gibt keine Abende mehr, in denen man ausschließlich zu Schubert und Chopin schwelgen kann. Zu einem ordentlichen Konzertabend gehört auch immer etwas das Ohr Herausforderndes. Manchmal ist das schon aus dem Programm herauszulesen. Manches Mal komme ich nach der Pause wieder in den Saal, und die Hälfte des Publikums ist verschwunden! – Das ist ein deutlicher Warnhinweis, dass es jetzt anstrengend wird.
Uns hat es nach Reinbek verschlagen, das idyllische Tor zum Sachsenwald. Das SHMF hat in den Festsaal des Reinbeker Schlosses eingeladen. Parken ist kein Problem. Wir wandeln auf einer kurzen schmalen Allee über holpriges Kopfsteinpflaster und erblicken einen offenen Arkadenhof mit prächtigem Oleander zwischen den Säulen. Der Backstein des schön renovierten Renaissance-Baus leuchtet in Rot- und Gelbschimmern. Wir nutzen die Zeit vor dem Konzert dazu, die Räumlichkeiten des Schlosses zu erkunden. Es ist allgemein eher unmöbliert. In einigen wenigen Zimmern stehen gediegene Möbel aus unterschiedlichen Epochen. Die Möblierung des Festsaals scheint aus den 80er Jahren zu stammen, jedenfalls assoziiere ich die Stapelstühle aus Stahlrohr mit Ledersitzfläche mit dieser Zeit.
Aus der Menge des 70plus-Publikums ragt ein vielleicht
dreißigjähriger Mann heraus, von dem wir der kurze Zeit später erfahren, dass
er Maximilian Schnaus ist und das zweite Stück nach der Pause komponiert hat.
Er lächelt bescheiden. Ah, das ist sie, die Herausforderung für die Ohren!
Aber zunächst einmal Schuberts Impromptu op. 142 D935. Der
noch jungenhaft wirkende Pianist Francesco Piemontesi betritt forschen
Schrittes die Bühne und beginnt unmittelbar zu spielen. Ich fühle mich in meine
eigene Jugend zurückgeworfen, sehe mich in einem Etagenbett liegend mit Walkman
auf den Ohren und vor Heimweh heulend. Meine Klavierlehrerin gab mir damals für
eine Reise nach England eine Aufnahme von Alfred Brendel mit auf den Weg. Auch
jetzt, mit geschlossenen Augen, höre ich Brendel heraus. Der junge Piemontesi
hat bei ihm studiert. Ich schaue dem jungen Pianisten ins Gesicht, aber dieser
ist komplett in seine Musik versunken. Sein Gesichtsausdruck schwankt dabei
sehr stark. Mal wirkt er entspannt, die Augen halb geschlossen. Dann wieder
bekommt sein Gesicht einen ängstlichen Ausdruck, als ob ihm eine Schwester Blut
abzapfen wollte. Ihm selbst ist das wohl nicht bewusst. Manchmal setzt er
gegenüber Brendel deutliche Akzente, interpretiert Schuberts Melodieführung
eine Nuance anders, langsamer, weniger kontrolliert. Mir gefällt das, solange
ich ihm nicht ins theatralisch überzeichnete Gesicht schaue. Uns wird hohe
Klavierkunst geboten, und die kultivierten Zuhörer genießen es. Als es zu
regnen beginnt und sich das Wasser laut über den Wasserspeier des Schlosses auf
den Innenhof ergießt, werden die Fenster geschlossen. Der dennnoch leise plätschernde
Regen verstärkt die Romantik des Stücks, oder er erhöht die eigene
Empfindsamkeit.
Nach der Pause wird Maximilian Schnaus auf die Bühne
gebeten. Er erklärt dem Publikum, dass sein Stück eine „Transparenzstudie“ sei.
Sie sei im Auftrag des SHMF entstanden und habe das Ziel, die wichtigsten
Passagen des später folgenden Stücks „Kreisleriana op. 16“ von Robert Schumann
zu verdichten oder anders zu interpretieren. Das Publikum lacht altväterlich
spöttelnd und wirkt etwas verunsichert.
Für das Stück von Schnaus benötigt
Piemontesi Noten. Mithilfe seiner vorherigen Erklärungen erschließen sich mir einige
Musikpassagen zwar besser, aber es fällt schwer sich vorzustellen, dass diese
Musik auf Schumann basieren soll. Für mich hat der Komponist sich dem Werk sehr
formal und nicht melodisch genähert. Das Publikum hat vermutlich nur deswegen
nicht die Flucht angetreten, weil das Original von Schumann ja noch folgt. Es
gibt verhaltenen und aufatmenden Applaus zum Ende des Stücks. Schnaus nimmt es
verständnisvoll – wir sind noch nicht reif für ihn.
Schumanns Kreisleriana spielt Piemontesi technisch versiert
und melodisch nuanciert. Die Akustik des Saals liefert einen kleinen Nachhall,
der das Spiel angenehm leicht klingen lässt, obwohl die acht Fantasien den
Pianisten extrem fordern. Die dialektischen Spiele Schumanns von harmonischen
Verfremdungen und jähen Temperamentswechseln laden zwar weniger zum Schwelgen
ein, werden vom Publikum aber in vollen Zügen genossen. Es gibt anhaltenden
Applaus für Francesco Piemontesi, der nach der Ekstase und Selbstversunkenhiet seines
Auftritts wieder zum kleinen Jungen zu werden scheint. Hoffentlich erleben wir
ihn auch im kommenden Jahr beim SHMF.
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