Pianist Piemontesi spielt Schubert und Schumann mit Fingerfertigkeit und Gefühl


von Katrin Dürwald
Es gibt keine Abende mehr, in denen man ausschließlich zu Schubert und Chopin schwelgen kann. Zu einem ordentlichen Konzertabend gehört auch immer etwas das Ohr Herausforderndes. Manchmal ist das schon aus dem Programm herauszulesen. Manches Mal komme ich nach der Pause wieder in den Saal, und die Hälfte des Publikums ist verschwunden! – Das ist ein deutlicher Warnhinweis, dass es jetzt anstrengend wird.

Pianist Francesco Piemontesi spiel Schubert im Festsaal des Reinbeker Schlosses

Uns hat es nach Reinbek verschlagen, das idyllische Tor zum Sachsenwald. Das SHMF hat in den Festsaal des Reinbeker Schlosses eingeladen. Parken ist kein Problem. Wir wandeln auf einer kurzen schmalen Allee über holpriges Kopfsteinpflaster und erblicken einen offenen Arkadenhof mit prächtigem Oleander zwischen den Säulen. Der Backstein des schön renovierten Renaissance-Baus leuchtet in Rot- und Gelbschimmern. Wir nutzen die Zeit vor dem Konzert dazu, die Räumlichkeiten des Schlosses zu erkunden. Es ist allgemein eher unmöbliert. In einigen wenigen Zimmern stehen gediegene Möbel aus unterschiedlichen Epochen. Die Möblierung des Festsaals scheint aus den 80er Jahren zu stammen, jedenfalls assoziiere ich die Stapelstühle aus Stahlrohr mit Ledersitzfläche mit dieser Zeit.

Aus der Menge des 70plus-Publikums ragt ein vielleicht dreißigjähriger Mann heraus, von dem wir der kurze Zeit später erfahren, dass er Maximilian Schnaus ist und das zweite Stück nach der Pause komponiert hat. Er lächelt bescheiden. Ah, das ist sie, die Herausforderung für die Ohren!

Aber zunächst einmal Schuberts Impromptu op. 142 D935. Der noch jungenhaft wirkende Pianist Francesco Piemontesi betritt forschen Schrittes die Bühne und beginnt unmittelbar zu spielen. Ich fühle mich in meine eigene Jugend zurückgeworfen, sehe mich in einem Etagenbett liegend mit Walkman auf den Ohren und vor Heimweh heulend. Meine Klavierlehrerin gab mir damals für eine Reise nach England eine Aufnahme von Alfred Brendel mit auf den Weg. Auch jetzt, mit geschlossenen Augen, höre ich Brendel heraus. Der junge Piemontesi hat bei ihm studiert. Ich schaue dem jungen Pianisten ins Gesicht, aber dieser ist komplett in seine Musik versunken. Sein Gesichtsausdruck schwankt dabei sehr stark. Mal wirkt er entspannt, die Augen halb geschlossen. Dann wieder bekommt sein Gesicht einen ängstlichen Ausdruck, als ob ihm eine Schwester Blut abzapfen wollte. Ihm selbst ist das wohl nicht bewusst. Manchmal setzt er gegenüber Brendel deutliche Akzente, interpretiert Schuberts Melodieführung eine Nuance anders, langsamer, weniger kontrolliert. Mir gefällt das, solange ich ihm nicht ins theatralisch überzeichnete Gesicht schaue. Uns wird hohe Klavierkunst geboten, und die kultivierten Zuhörer genießen es. Als es zu regnen beginnt und sich das Wasser laut über den Wasserspeier des Schlosses auf den Innenhof ergießt, werden die Fenster geschlossen. Der dennnoch leise plätschernde Regen verstärkt die Romantik des Stücks, oder er erhöht die eigene Empfindsamkeit.

Nach der Pause wird Maximilian Schnaus auf die Bühne gebeten. Er erklärt dem Publikum, dass sein Stück eine „Transparenzstudie“ sei. Sie sei im Auftrag des SHMF entstanden und habe das Ziel, die wichtigsten Passagen des später folgenden Stücks „Kreisleriana op. 16“ von Robert Schumann zu verdichten oder anders zu interpretieren. Das Publikum lacht altväterlich spöttelnd und wirkt etwas verunsichert.
Maximilian Schnaus erklärt Transparenzstudie zu Schumanns Kreisleriana
Für das Stück von Schnaus benötigt Piemontesi Noten. Mithilfe seiner vorherigen Erklärungen erschließen sich mir einige Musikpassagen zwar besser, aber es fällt schwer sich vorzustellen, dass diese Musik auf Schumann basieren soll. Für mich hat der Komponist sich dem Werk sehr formal und nicht melodisch genähert. Das Publikum hat vermutlich nur deswegen nicht die Flucht angetreten, weil das Original von Schumann ja noch folgt. Es gibt verhaltenen und aufatmenden Applaus zum Ende des Stücks. Schnaus nimmt es verständnisvoll – wir sind noch nicht reif für ihn.

Schumanns Kreisleriana spielt Piemontesi technisch versiert und melodisch nuanciert. Die Akustik des Saals liefert einen kleinen Nachhall, der das Spiel angenehm leicht klingen lässt, obwohl die acht Fantasien den Pianisten extrem fordern. Die dialektischen Spiele Schumanns von harmonischen Verfremdungen und jähen Temperamentswechseln laden zwar weniger zum Schwelgen ein, werden vom Publikum aber in vollen Zügen genossen. Es gibt anhaltenden Applaus für Francesco Piemontesi, der nach der Ekstase und Selbstversunkenhiet seines Auftritts wieder zum kleinen Jungen zu werden scheint. Hoffentlich erleben wir ihn auch im kommenden Jahr beim SHMF.
SHMF Reinbeker Schloss 2018 Klavierkonzert Piemontesi Schnaus



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