Der Grandseigneur der Klarinette Giora Feidman zu Gast in der Kulturwerft Gollan in Lübeck


von Katrin Dürwald
Es ist der bisher heißeste Tag des Jahres, und auf der A1 verursachen mehrere Unfälle auf den ohnehin schon eingeschränkten Fahrbahnen kilometerlange Staus - mittendrin wir auf dem Weg in die Kulturwerft Gollan in Lübeck. Eine halbe Stunde Puffer reicht nicht aus, mehrere Autos kommen noch nach uns an, ein Fahrer zuckt hilflos lächelnd mit den Schultern. Im Vorraum treffen wir den netten Einweiser, der uns die Tür zum Saal in einer der ersten Klatschpausen öffnet. Die Hitze, die uns beim Eintreten entgegenschlägt, raubt uns fast den Atem. Schwitzig eilen wir zu den Plätzen, während Giora Feidman – trägt er wirklich noch einen Blazer in dieser Hitze? – sein nächstes Lied ankündigt. Er erklärt, dass er noch jeden Tag etwas dazulerne: „Today I learn on how to play in a sauna!“ – Lacher. 
Murat Coskun, Guido Jäger, Enrique Ugarte und Giora Feidman

Die vier Männer auf der Bühne sind der Erneuerer des Klezmers, Giora Feidman, der Kontrabassist Guido Jäger, Enrique Ugarte mit dem Akkordeon und Murat Coskun, Percussion. Wir hören eine sehr getragene Jazz-Version von „What a wonderful world“.Auffallend ist, wie behutsam Ugarte das sonst schnell mal quäkig daherkommende Akkordeon spielt; er lässt der Klarinette akustisch den Vortritt und zeigt damit umso deutlicher seine eigene Kunstfertigkeit. Es folgen einige Klezmer-Stücke, bei denen Feidman seiner Klarinette einen fein nuancierten Klang entlockt. Ich kann nur vermuten, dass er diese Abstufungen mit einer ausgefeilten Atemtechnik erreicht. Zwischen den Stücken neigt er zu einer gewissen Pathetik, er spricht von dem friedlichen Miteinander von Deutschen und Juden, und vom baldigen Frieden zwischen Juden und Palästinensern. Richtig: Das Tourprogramm des 82jährigen lautet ja auch „Klezmer for Peace“. Die Liedhinweise geraten mir manchmal zu salbungsvoll, vielleicht bin ich auch einfach zu abgeklärt dafür. Die Klezmer-Lieder neigen sich zum Jazz, meistens dreht die Combo zum Schluss eines Liedes noch mal auf und lässt sowas wie Hochzeitsstimmung aufkeimen. Ich kann es sogar nachvollziehen, dass sie es angesichts der Temperaturen von mehr als 30°C ruhiger angehen lassen. 

Enrique Ugarte Akkordeon Lübeck, Rodrigez

Ugarte spielt das Adagio des „Concerto De Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo als Solo auf dem Akkordeon. So großartig gespielt habe ich das Akkordeon noch nie erlebt. Mir wird klar, dass Ugarte auch als Solokünstler erfolgreich sein muss. Feidman lässt jeden seiner Begleiter in Jazz-Freestyle-Manier Raum für Einzelaktionen, wobei des dem Publikum schwerfällt, das richtige Timing für den Zwischenapplaus zu finden. Feidman fängt daher an, den Applaus zu orchestrieren. Das behagt mir nicht, aber der Mehrheit des Publikums scheint es zu gefallen. Überhaupt wird der Applaus nach der Pause immer länger. Feidman hat sich seines Sakkos entledigt und steht nun in ausgebeulten Altherrenhosen mit Hosenträgern vor uns. 

Um 10 Uhr abends schaut er auf die Uhr und beschließt, den Schluss des Konzerts einzuleiten. Er trägt dem Publikum auf, eine Melodie nachzusingen, zieht die Herren ein wenig für ihre Schüchternheit auf und spielt dann ein Stück unter Begleitung des singenden Saals. Unter dem Eindruck des begeisterten Applauses spielt das Trio noch eine Zugabe. Dann bittet Feidman darum, gemeinsam das „Shalom Chaverim“ anzustimmen. Dabei gelingt es ihm, mit seiner eigenen Stimmlage das Publikum zu dirigieren, und so wird der Chorgesang mit jedem Mal leiser, bis er in einem Summen erstirbt. „Macht’s gut, Freunde!“ ist ein wahrlich ergreifendes Konzertende.

Giora Feidman Trio, Lübeck, Gollan Kulturwerft

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